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Während sich die Industrie in puncto Nachhaltigkeit bisher auf die großen Stellschrauben wie Produktionstechnologien und Wertschöpfungsketten konzentrierte, rücken mittlerweile auch Marketingmaßnahmen und speziell die ressourcenintensiven Kongresse und Events in den Fokus. Aber: Nachhaltigkeit wird hier viel zu oft nur punktuell umgesetzt. 
Autor: Kai Oehlschlaeger, Senior Director Client Strategy and Business Development bei expopartner

 

Das Veranstaltungsjahr 2023 startete mit einer Besonderheit: Während im Vorjahr die ersten Fachgesellschaften im Zuge der Erhöhung der eigenen Nachhaltigkeitsbestrebungen begannen, die Industrie-Sponsoren in den Ausstellerunterlagen explizit zu ermuntern, ihre Kongressauftritte nachhaltig(er) zu gestalten, wird dies nun vermehrt ergänzt mit der Ausschreibung von Preisen für das nachhaltigste Standkonzept oder die nachhaltigste Tagungsteilnahme.

Damit reagieren die Fachgesellschaften nicht zuletzt auf das sich wandelnde Bewusstsein der Mitglieder und Besucher:innen, wie aktuelle Zahlen einer Umfrage von expopartner am 14. und 15. November 2022 unter Healthcare Professionals (HCPs) auf dem 35. Deutschen Krebskongress in Berlin zeigen: Über 90 Prozent der Befragten finden das Thema Nachhaltigkeit wichtig oder sehr wichtig und mehr als sechs von zehn befragten Healthcare Professionals (HCPs) gaben an, beim Besuch der Industrieausstellung darauf zu achten, ob die Messestände unter Nachhaltigkeitsaspekten realisiert worden sind.

 

Klimaschutz wird heute erwartet, und auch Unternehmen können es sich schlicht nicht mehr leisten, nicht nachhaltig zu handeln. So wird nun damit begonnen, Messeauftritte ebenso wie Events nachhaltiger zu gestalten. Dabei stellt sich schnell heraus, dass das Thema facettenreich und komplex ist. Es betrifft verschiedenste Prozesse und Veranstaltungsbereiche.

Neben ökologischen treten auch wirtschaftliche und soziale Aspekte in den Fokus. Unterschiedliche Begrifflichkeiten, verschiedene Schwerpunkte und diverse Standards und Messsysteme sorgen dafür, dass oft sowohl Kunden als auch Dienstleister den Wald nicht mehr vor Bäumen sehen. Und so sind Maßnahmen allzu oft scheinbar willkürlich ausgewählt und auf einzelne Events beschränkt. Dies führt zu teils sehr unterschiedlichen Nachhaltigkeitsstandards je nach Veranstaltung und Business Unit ohne erkennbare gemeinsame Strategie. Letztlich ist dies nicht nur ineffizient, sondern kann auch eine kommunikative Herausforderung sein.

 

 

Nachhaltige Live-Kommunikazion gewinnt an Relevanz: Das zeigen Ergebnisse einer Expopartner-Umfrage während des 35. Deutschen Krebskongresses in Berlin

 

 

Die Besonderheiten der Veranstaltungswelt tragen ihren Teil zur Situation bei. Temporäre Events sind ein schnelllebiges Geschäft. Messeauftritte und Veranstaltungen werden häufig mit wenig Vorlauf geplant, Zeit für grundsätzliche Erwägungen in Bezug auf ein individuelles Nachhaltigkeitskonzept bleibt oft nicht. Zudem müssen die Veranstaltungsteams auf sehr unterschiedliche Bedürfnisse eingehen – Produkte und Kampagnen unterscheiden sich ebenso wie die Markenwelten und die Budgets in den einzelnen Geschäftseinheiten. Oft agieren Brand Teams sehr autonom innerhalb der Konzerne. Und hier geht mitunter das Einzahlen auf individuelle Marketingziele vor die Erfüllung von abstrakten Nachhaltigkeitszielen.

Quick Wins als erster Schritt

 

Wer nachhaltiger agieren möchte, muss und sollte nicht auf den übergeordneten Plan warten. Gerade bei temporären Events kann man auch innerhalb einzelner Projektteams mit kleinen Maßnahmen sofort positive Effekte erzielen. Abfallmanagement, Catering, Gastgeschenke und Give-Aways oder auch die Auswahl von Mobiliar und Bauteilen sind nur einige Handlungsfelder, die für jede Veranstaltung neu und individuell angegangen werden können und somit direkt auf die Klimabilanz einzahlen. Dabei gilt: Je früher im Planungsprozess das Thema mitgedacht wird, desto wirksamer ist im späteren Verlauf die Umsetzung.

 

 

 

Das eigene Leitbild entwickeln

 

Nachhaltiges Handeln lebt im Business-Kontext ganz entscheidend von Glaubwürdigkeit. Nicht umsonst fürchten sich viele Unternehmen, dem Vorwurf des „Greenwashings“ ausgesetzt zu sein. Auf der anderen Seite führt dies mitunter sogar dazu, zwar nachhaltig zu handeln, dies aber zu verschweigen („Greenhushing“), womit auch niemandem geholfen ist.

Umso wichtiger ist die Definition einer allgemeinverbindlichen unternehmensweiten Haltung, eines Leitbilds, dass die Unternehmenswerte auf den Eventbereich überträgt und in klaren sozialen und ökologischen Regelwerken und Mindeststandards mündet. Dadurch erhalten die Projektteams nicht nur einheitliche Richtlinien für die Gestaltung von Veranstaltungen und Messeauftritten, sondern auch eine stärkere Identifikation mit dem Thema. Dafür braucht es Abstand vom Tagesgeschäft und ein interdisziplinäres Team, das die an einer Veranstaltung beteiligten Organisationsbereiche repräsentiert. Und klar ist: Es braucht das Commitment und die Unterstützung des Managements.

 

 

Ist einmal das Nachhaltigkeitsleitbild auf den Weg gebracht, können die erarbeiteten Maßnahmen nach und nach systematisch auf alle Veranstaltungsbereiche ausgerollt werden. Doch nicht alles kann vorgegeben oder vorhergesehen werden – dafür sind die Dienstleister, Lieferketten und Materialien zu vielfältig, die Prozesse zu komplex. Hier bietet sich eine systematische Analyse exemplarischer Eventtypen (Messestand, Tagung usw.) an, welche die dahinterliegenden Materialstoffströme sichtbar macht. Auf Basis der gewonnenen Erkenntnisse können die eingesetzten Ressourcen und Materialien kategorisiert und im Sinne einer intelligenteren, längeren und weiteren Nutzung für das nächste Event optimiert werden. Idealerweise lassen sich so nahezu geschlossene Kreisläufe erreichen, die das Unternehmen dem Ziel der umweltgerechten und soziokulturellen sowie wirtschaftlich verträglichen Gestaltung von Veranstaltungen näherbringen.

Schnell wird klar: Nachhaltigkeit ist ein Prozess, der zwar einen Anfang, aber kein klar definiertes Ende hat. Es braucht Geduld und Ausdauer, da (extern kommunizierbare) Ergebnisse oft nicht direkt zum Event vorliegen, sondern erst nach dem Veranstaltungsende final bewertet werden und in spätere Veranstaltungen einfließen können. Die gute Nachricht: Nie war das Momentum so günstig, den Neustart nach der Pandemie für nachhaltige und zukunftsfähige Konzepte zu nutzen und damit nicht nur positiv auf das Unternehmensimage einzuzahlen, sondern die verantwortungsbewusste Zukunft der Veranstaltungsbranche aktiv zu gestalten.

 

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Quelle: Healthcare Marketing 04/2023

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